Das Arbeitsbündnis zwischen Berater:in und Klient:in gilt als einer der am besten gesicherten Wirkfaktoren in der Psychotherapie. Auch im Coaching wird dessen Bedeutung erkannt, wenngleich es noch zu früh für eine umfassende wissenschaftliche Beurteilung der Arbeitsbeziehung im Coaching ist. Der folgende Beitrag beleuchtet spannende Erkenntnisse hinsichtlich des Wirkfaktors Beziehung.
Die Beziehung aus neurowissenschaftlicher Perspektive
Die Wirksamkeit einer vertrauensvollen Beziehung kann neurowissenschaftlich betrachtet auf die Oxytocinausschüttung zurückgeführt werden, welche eine Beruhigung und Angstreduktion ermöglicht. Darüber hinaus führt sie zur Senkung des Cortisolspiegels und einer Ausschüttung von Serotonin und endogenen Opioiden. Dadurch wird das Wohlbefinden der Klient:innen gefördert und der Zugang zu Ressourcen verbessert sich. Interessant sind neuere Erkenntnisse, die aufzeigen, dass die Neubildung von Nervenzellen des Hippocampus durch einen hohen Oxytocinspiegel verstärkt werden. Dies unterstützt die für Beratungsprozesse wichtige Gedächtnismodifikation.
Die Beziehung in der Psychotherapie- und Bindungsforschung
Häufig wird im Zusammenhang mit der Diskussion des Wirkfaktors „Beziehung“ Bezug zur Bindungstheorie genommen. Diese wurde vom englischen Psychoanalytiker Bowlby (1907-1990) entwickelt, der erkannte, dass die frühkindliche Bindungserfahrung entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung ist. Dies untermauern auch neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaft. Bindung wird „durch einen emotionalen Kern gefühlter Sicherheit und wahrgenommenen Schutzes vor Gefahr in Gegenwart der Bindungsperson“ definiert (Schmidt und Strauß, 1996). Für Kinder ist es wichtig in ihren Bindungspersonen einen sicheren Hafen zu erfahren, der verlässlich zur Verfügung steht. Dadurch wird es möglich, die Welt zu erkunden.
Die Psychologin Mary Ainsworth entwickelte mit dem Fremde-Situation-Test ein halbstandardisiertes Beobachtungsverfahren, mit dem sich das Bindungsverhalten von Kindern empirisch überprüfen lässt. Sie ordnete das Verhalten der Kinder während und nach der Trennung von der Mutter drei Bindungsmustern zu, denen später noch ein vierter hinzugefügt wurde: (1) Sicher gebunden, (2) Unsicher vermeidend, (3) Unsicher ambivalent und (4) Desorganisiert-desorientiert. Diese Bindungstypen korrelieren mit dem Bindungsverhalten von Erwachsenen und lassen sich mit dem Adult Attachment Interview (AAI) erfassen. Es liegt nahe, dass der Bindungsstil von Berater:innen und Klient:innen einen entscheidenden Einfluss auf das Arbeitsbündnis hat.
Die Beziehungsebene ist ein komplexes Passungsgeschehen, das nach Hermer und Röhrle (2008) den folgenden Einflussfaktoren unterliegt:
- Methodenspezifische Merkmale
- Störungsspezifische Merkmale
- Personenmerkmale
- Soziale Netzwerke
- Merkmale der behandelnden Institution
- Gesellschaftliche und kulturelle Kontexte.
J. D. Frank (1961, 1981) gilt als Pionier in diesem Bereich und hebt vier wichtige Faktoren wirksamer Therapie hervor, die auch für das Coaching eine Bedeutung haben:
- Die Vertrauensbeziehung und Wertschätzung zwischen Klient:in und Therapeut:in
- Die Rahmensituation, d.h. positive Assoziation des Beratungsorts im Wertesystem der jeweiligen Zielgruppe
- Die Behandlungstheorie, d.h. das Vorhandensein eines Erklärungsschemas
- Die Anordnung von Maßnahmen, d.h. ein Verfahren, das dem Klienten/der Klientin eine gewisse Anstrengung abverlangt.
Bordins (1979) Begriff des Arbeitsbündnisses (working alliance) passt gut zum Coaching und geht in eine ähnliche Richtung. Er definiert das Arbeitsbündnis durch drei Komponenten:
- Die Übereinkunft hinsichtlich der gewünschten Beratungsziele
- Die Übereinkunft, wie diese Ziele erreicht werden sollen
- Die Entwicklung einer persönlichen Bindung.
Nach Norcross (2002) gelten folgende Aspekte der therapeutischen Beziehung als gut belegt:
- Gelungenes Arbeitsbündnis
- Empathie
- Übereinstimmung und Kooperation zwischen Therapeut:in und Klient:in
- Gelungenes Anpassen der therapeutischen Beziehung an den Widerstand desKlienten oder der Klientin, an die jeweilige Problematik und den Bewältigungsstil.
Die Bedeutung der Beziehung in verschiedenen Psychotherapie- und Coachingansätzen
Es gibt zwischen Therapie und Coaching sowie zwischen den verschiedenen Beratungsansätzen ein unterschiedliches Verständnis der Beziehungsgestaltung, das an dieser Stelle aufgrund der gebotenen Kürze nicht umfassend diskutiert werden kann. Stattdessen werden grundlegende Perspektiven auf das Thema dargelegt, um die Entwicklung und Verschiedenheit aufzuzeigen.
Die häufig anzutreffende strikte Abgrenzung von Coaching und Therapie, welche die Autorin kritisch betrachtet, schlägt sich auch in einem anderen Beziehungsverständnis nieder. In Tabelle 1 findet sich eine Gegenüberstellung von Grimmer/Neukom (2009).
Therapie | Coaching |
Therapeut:in stellt sich als Bezugsperson zur Verfügung, um die dysfunktionalen frühen Beziehungserfahrungen durchzuarbeiten Modifikation oder Neubildung verinnerlichter Elternfiguren im Laufe des therapeutischen Prozesses Intensität der Beziehung abhängig von Therapieform und Dauer Grundsätzlich hohe temporäre Abhängigkeit | Coach stellt sich als förderndes und ermutigendes Gegenüber zur Verfügung, das dem Klienten /der Klientin hilft, die eigenen Ressourcen zu aktivieren, wobei er/sie auf seine/ihre inneren Eltern und positive frühe Beziehungserfahrungen aufbauen kann Intensität der Beziehung eher begrenzt, Abhängigkeit wird vermieden |
Aus Sicht der Autorin sind die gängigen Unterscheidungsmerkmale (Beziehungshierarchie, Abhängigkeitsverhältnis und verinnerlichte Elternfiguren) zwischen Coaching- und Psychotherapie-Klient:innen nicht haltbar. Wichtig ist jedoch die unterschiedliche Zielsetzung der beiden Verfahren und die Frage, wie Coaches mit Klient:innen umgehen, deren Beziehungsfähigkeit weniger gut ausgeprägt ist.
Das Arbeitsbündnis hat in den verschiedenen Beratungsschulen einen unterschiedlichen Stellenwert. Als gemeinsame Tendenz lässt sich über die letzten Jahrzehnte jedoch erkennen, dass anstelle eines rein technischen Vorgehens eine stärker emotional gebundene Form der Beziehungsorientierung zu finden ist (Gahleitner, 2017). In Tabelle 2 findet sich ein Überblick über verschiedene Perspektiven der Beratungsansätze auf die Beziehungsebene.
Psychoanalyse | Nutzung von Übertragung (Nachbildung von unbewussten Gefühlen und Erwartungen in einer aktuellen Beziehung, die ursprünglich auf wichtige Bezugspersonen der Vergangenheit gerichtet waren) und Gegenübertragung (innerpsychischer Widerhall des Analytikers /der Analytikerin. Unterschieden wird zwischen dem Eigenanteil und der angemessenen emotionalen Reaktion des Analytikers/der Analytikerin auf den Klienten/die Klientin). Mit der intersubjektiven Wende in den 1980er und 1990er Jahren wurde die Psyche als ein interaktionelles Phänomen verstanden und die Beziehung wurde mehr in den Fokus gerückt. |
Verhaltenstherapie | Zunächst Psyche als „black box“, weshalb Beziehung auch nicht im Vordergrund stand Interpersonelle Umfeldfaktoren wurden im Veränderungsprozess aber berücksichtigt In den Kognitiven Therapien rückten Emotionen und Motive zunehmend in den Fokus und damit auch die Beziehungsebene. Ähnliche Entwicklung wie in der Psychoanalyse. |
Personzentrierte Therapie | Beziehung steht im Zentrum Annahme: wenn die drei Basisvariablen der therapeutischen Beziehung praktiziert werden, also Echtheit, Wertschätzung und Empathie, kann Persönlichkeitsentwicklung stattfinden. |
Hypnotherapie | Vorreiter für beziehungs- und familienorientierte Ansätze Wechselseitiger Einfluss von Hypnotherapeut:in, Klient:in und der Beziehung zwischen beiden im Fokus Trance wird im Kooperationsansatz im Beziehungskontext betrachtet Klient:in wird im Beziehungsnetzwerk betrachtet |
Systemische Therapie | Nicht das Individuum, sondern die die Interaktion zwischen Personen steht im Fokus. Fokus auf rekursive Wechselbeziehungen und die über Kommunikation vermittelten Wirklichkeitskonstruktionen der Beteiligten. Anfangs unbeteiligtes und kühles Arbeitsbündnis, mittlerweile affektive Beziehungsgestaltung |
Fazit
Das Arbeitsbündnis ist ein wichtiger Wirkfaktor, wenngleich wir noch relativ wenig über seine konkrete Ausgestaltung im Coaching wissen. Deutlich wird, dass es für wirksame Beratung nicht nur um eine empathisch-vertrauensvolle Beziehung an sich geht, sondern umfassendere Faktoren wie die Zielklärung und Rahmensituation ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Außerdem zeigt sich, dass die verschiedenen Beratungsschulen sich immer mehr in Richtung einer stärker emotional gebundenen Form der Beziehungsgestaltung orientieren. Letztlich geht es um eine Passung zwischen Berater:in und Klient:in, die eine hohe Komplexität umfasst und Coaches einlädt, ihr Beziehungsangebot fortwährend zu reflektieren.
Ryba, A. (2023). Das Arbeitsbündnis als Wirkfaktor im Coaching.
Warum es wichtig ist, dass sich Klient:in und Coach miteinander wohlfühlen.
In: Praxis 78 Kommunikation 05 | 2023, Junfermann Verlag
Praxis Kommunikation 5/2023 | Junfermann Verlag
Literatur
Bordin, E. S. (1979). The generalizability of the psychoanalytic concept of the working alliance. Psychotherapy: Theory, Research & Practice, 16 (3), 252-260.
Frank, J. D. (1961/1981). Die Heiler. Wirkungsweisen psychotherapeutischer Beeinflussung. Vom Schamanismus bis zu den modernen Therapien. Stuttgart: Klett-Cotta
Gahleitner, S. B. (2017). Soziale Arbeit als Beziehungsprofession. Bindung, Beziehung und Einbettung professionell ermöglichen. Weinheim und Basel: Juventa
Grimmer, B. & Neukom, M. (2009). Coaching und Psychotherapie. Gemeinsamkeiten und Unterschiede – Abgrenzung oder Integration? Wiesbaden: VS Verlag
Hermer, M & Röhrle, B. (2008). Therapeutische Beziehungen. Geschichte, Entwicklungen und Befunde. In: M. Hermer & B. Röhrle (Hrsg.). Handbuch der therapeutischen Beziehung. Band 1: Allgemeiner Teil (S. 773-798). Tübingen: DGVT
Norcross, J. C. (2002). Empirically supported therapy relationships. In J. C. Norcross (Hrsg.). Psychotherapy relationships that work. Therapist contributions and responsiveness to patients (S. 3 – 16). Oxford: Oxford University Press
Schmidt, S. & Strauß, B. (1996). Die Bindungstheorie und ihre Relevanz für die Psychotherapie. Teil 1: Grundlagen und Methoden der Bindungsforschung. Psychotherapeut (41). 139-150